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Loire-à-Velo 2: Loireschlösser und Jagdbeginn
Der Tag beginnt als echter Trödeltag: Zuerst ist uns das Zelt zu nass vom Kondenswasser um es auf dem sandigen Boden beim Einpacken zu versauen. Dann brauchen wir ewig für das Zusammenpacken und der Tacho schreit auch noch nach einer neuen Batterie.
So bekommen wir morgens kaum Kilometer auf der eigentlich schönen ruhigen Straße zusammen bevor wir schon frühzeitig Mittagspause am Loireufer machen.
Heute fühlt sich das Radfahren sehr unangenehm an: Zwar hat die Straße einen guten Belag und es hat nur sehr wenige Autos aber es scheinen viele Jäger unterwegs zu sein. Alle paar Minuten hören wir Schüsse aus den Feldern und Wäldern rechts und links von uns.
Nach unserer Abenteuerübernachtung an der Donau sind wir auf Schüsse noch etwas empfindlicher geworden und wir malen uns auch heute bei jedem Knall aufs Neue aus, wie auch einmal ein Tandem Pino in der verlängerten Schusslinie fahren könnte während der Jäger sich zeitgleich über seine Wildschweinsichtung freut und abdrückt.
Die nächste große Stadt auf dem Weg ist jetzt Orleans, weil wir eh schon Trödeltag haben machen wir hier eine kleine Stadtbesichtigung mit Besichtigung der Kathedrale, dem Wohnhaus von Jeanne d’Arc (bedingt durch die Besucherschlange davor nur von außen) und natürlich für einen… nein zwei Kaffees.
Es ist deshalb schon richtig nachmittag bis wir endlich wieder auf dem Weg sind und wir müssen richtig ranklotzen um den geplanten Campingplatz in Beaugency noch erreichen zu können. Auf den Kilometern westlich von Orleans führt der Radweg übersehr weite Strecken direkt an der Loire entlang, wirklich schade dass wir keine Zeit mehr für einen zweiten Stopp haben.
Schon einige Kilometer vor Beaugency wird es dann schlagartig voller. Autos parken auf dem Loireradweg, Leute schlendern darauf und wir müssen unser Schwerlasttandem immer öfter zwischen den Spaziergängern durchfädeln.
Tina Vordersitzer ist unser Klingelbediener und klingelt sich heute die Finger wund damit die Fußgänger nicht zu sehr erschrecken wenn wir von hinten ankommen.
Beaugency selbst ernüchtert uns dann: Wir hatten befürchtet, dass der Campingplatz seine Saison schon beendet haben könnte, stattdessen steht dieser Campingplatz komplett randvoll mit Transportern und Wohnwagen.
Abgesehen davon, dass wir kaum einen brauchbaren Platz für unser Zelt hätten finden können ist uns die Sache ziemlich suspekt und wir beschließen mit 2:0 Stimmen, lieber weiterzufahren. Ole Isbjørn enthält sich der Stimme, der döst schon seit der Mittagspause in Orleans auf seinem Plätzchen und kriegt von dem Ganzen gar nichts mit.
Die nächste Ortschaft erreichen wir mit Einbruch der Dämmerung, hier gibt es auch zwei Campingplätze in der Datenbank.
Wieder dasselbe Spiel, auch diese Plätze sind komplett überfüllt obwohl die Saison eigentlich schon vorbei sein müsste. Zum Glück sind hier in Muides-sur-Loire drei Herbergen eingezeichnet, Plan B heißt: Herbergsübernachtung.
Die erste Herberge? Hatte über den Sommer für Renovierungen geschlossen und macht erst nächste Woche wieder auf.
Die Zweite? Ist Teil des dritten lokalen Campingplatzes… geschlossen.
Die Dritte? Erreichen wir telefonisch, hat keine Zimmer mehr frei.
Das Ganze riecht schon ein bisschen nach Katastrophe, es ist schon fast dunkel, es wird in Kürze regnen, wir haben Hunger und es ist viel zu spät um noch einen wilden Übernachtungsplatz zu suchen… Plan C: Wir fragen bei dem lokalen Pizza- und Burgerbäcker nach Möglichkeiten, da stehen gerade recht viele Leute davor. Einer von denen wird uns doch wohl seinen Garten für das Zelt anbieten können!?!
Können sie nicht, aber sie sind sehr hilfsbereit. Suchen mit uns zusammen nach den Herbergs- und Hotelangeboten in der Umgebung und googeln die Telefonnummern für uns heraus. Der dritte Anruf ist dann endlich erfolgreich, wir haben ein Zimmer!!! Zwar für 90 Euro die Nacht ohne Frühstück, was Tina Vordersitzer aber -angesichts der Alternative „Übernachtung im Freien bei Regen“- gerne aus ihrer Kaffeekasse zahlen will.
Mit Vollgas schaffen wir die drei Kilometer bis zu diesem Hotel dann gerade so bevor der Regen anfängt. Diese Punktlandungen vor Regenbeginn werden uns allmählich unheimlich.
Das Hotel ist super, ein altes Herrenhaus mit Blick über die Loire, ein warmes Zimmer, ein angenehmes Bett, ein eigenes Bad. Purer Luxus für heute, die Nacht bekommt drei Kreuzchen in den Kalender. Wir packen im Hotelzimmer unsere Nüsschen und unseren Rotwein aus, verbringen den restlichen Abend lümmeln auf dem Bett und saugen den Hotelluxus in uns auf.
Am nächsten Morgen haben wir einen schönen Blick aus unserem Fenster zur Loire, es steht Nebel über der Landschaft. Es war auch die letzten Nächte immer schon sehr herbstlich feucht, daran müssen wir uns entlang der Loire vermutlich gewöhnen, der Sommer geht halt doch zur Neige. Hoffentlich bekommen wir am Atlantik und in Spanien dann wieder trockenere Abschnitte.
Unser Frühstück wollen wir heute auf den ersten Kilometern einnehmen weil das Petit Dejeuner im edlen Hotel in Tina Vordersitzers Kaffeekasse nicht mehr drin war und weil der nächste Bäcker eh nur 500 Meter von uns weg ist. Und den Kaffee kochen wir uns sowieso am liebsten selber, das passt dann schon.
Obwohl: Montag ist in Frankreich anscheinend der Ruhetag für Bäcker, außer einer Packung Madeleines und einem abgepackten Marmorkuchen bei der Tante-Emma gegenüber ist nichts zu kriegen.
So radeln wir mit knurrendem Magen die 7 Kilometer zur ersten Loireschloss-Besichtigung unserer Tour: Schloss Chambord, das malerisch in einem sehr großen Waldareal liegt und mit seinen unzähligen Türmen ziemlich verspielt wirkt. Von außen ist dieses Schloß beeindruckend groß -das größte Schloss der Loire-Region- und auch die Parkanlage darum herum ist sehr weitläufig.
Die Besucher werden hier mit vielen Bussen hergefahren, schon alleine das „Dorf“ mit dem kommerziellen Angebot von Plastiksouvenirs bis Pizza und Fahrradverleih hat eine Fußgängerzone von gut 100 Metern Länge.
Für uns reicht der Blick von außen, wieder einmal verzichten wir gerne auf das Anstehen in der Schlange, dafür gönnen wir uns zwei Café Crème im Schlosspark und tunken unseren Marmorkuchen zum Frühstück während wir erfolglos versuchen, zwei gleich aussehende Türme am Schloss zu finden.
Der Zweck des Waldareals um das Schloss wird uns beim Hinausfahren bewusst: Dieses riesige Schloss wurde als Jagdschloss gebaut und der Wald darum ist umzäunt um die gemästeten Wildschweine in der Nähe zu halten. Vermutlich sind es wohlhabende Gäste, die hier für edles Entgelt eine Wildsau vor die Flinte geschubst bekommen.
Klar wird damit auch, warum an diesem Wochenende alle Zeltplätze in der Region überlastet sind: In dieser Loireregion begann gestern die Jagdsaison, das darf man sich in etwa vorstellen wie Beginn der Bundesliga nach der Winterpause. Die ganzen Jäger dürften jetzt ganz schön wild darauf sein, etwas Wildes vor die Flinte zu bekommen und den Finger recht locker am Abzug haben.
Für uns 2RadReisende heißt das, dass wir für den Moment NICHT wild zelten werden. Weder brauchen wir einen Jäger, der uns in der Morgendämmerung zur Sau macht, noch brauchen wir Schrotlöcher in Zelt und Schlafsack, wenn wir ungeschickt in einer Schusslinie übernachten sollten.
Die Wildschweine, die wir hier im Park sehen sind noch relativ entspannt und lassen uns recht nahe kommen bevor sie weglaufen. Bestimmt hat denen noch niemand gesagt, dass die Schonzeit vorüber ist… werden sie schon noch merken.
Auf dem Weg raus kommt uns noch ein Reiseradler entgegen und winkt uns freundlich zu… den sehen wir später wieder !!!
Zurück auf dem Loire-Radweg wird es schon bald Zeit für einen Platz fürs Mittagessen, wir fahren einen der größeren Anglerwege bis zum Fluss hinunter, finden eine kleine sandige Bucht für unser Picknick und brutzeln uns Couscous mit Ratatouille auf unserem Holzkocher.
Die Loire unterscheidet sich grundlegend von allen anderen Flüssen, an denen wir bisher entlanggeradelt sind. Während die meisten anderen Flüsse ab einer gewissen Wassermenge schon historisch zu Wasserstraßen umfunktioniert wurden, hat die Loire ihr Gesicht als natürlicher Fluss behalten: Bedingt durch die enormen Mengen an Sand, den sie mit sich führt war sie vermutlich nie als Transportgewässer brauchbar und wurde auch deshalb baulich nicht gefasst. Tina Vordersitzers Bild der Loire: Die Loire ist ein Fluss, der noch wirklich Fluss sein darf.
Dementsprechend bilden sich hier Sandbänke, kleine Sandinseln und lösen sich wieder auf, der Fluss sucht sich sein Bett immer wieder aufs Neue. Es macht Spaß, diesen Fluss zu begleiten, der Loire-Radweg bleibt ein Highlight auf unserer Europatour. Er ist einfach zu fahren, weil er gut beschildert ist, er ist auf den allermeisten Etappen sehr flach zu radeln und es gibt eine recht gute Infrastruktur von Zeltplätzen, Herbergen, Rastplätzen nah an der Strecke.
Baignade strictement interdit
Schon seit unserer ersten Begegnung mit der Loire in Nevers sind uns die vielen Schilder mit „Baignade interdit“ oder „Baignade strictement interdit“ aufgefallen. Hatten wir das zuerst noch für Naturschutzthemen gehalten und hätten es zu gerne das eine oder andere Mal ignoriert, werden wir später aufgeklärt: Das hat auch mit den Sandmengen zu tun, die die Loire zum Atlantik transportiert. In der Loire bilden sich Sandbänke, die wie Treibsand auch instabil werden können und manchmal auf großer Breite abreißen können, böse Wirbel und Wellen erzeugen können. Nach einem Unglücksfall mit mehreren toten Schulkindern vor etwa 30 Jahren wurde das Badeverbot dann behördlich erlassen. Überzeugt uns, manche Verbotsschilder machen wohl doch Sinn.
Auf dem Campingplatz in Chaumont stehen heute drei Zelte mit Rad- und Motorradreisenden neben unserem und wir lernen Jonas Kassigkeit, zwei radelnde Spanier -Alvaro und Mirentzu- und einen Spanier -Alfonso- mit Motorrad kennen. Wir öffnen unseren Weinkeller, bestückt mit immerhin einer Flasche Muskat für die Runde und verbringen einen langen Abend zusammen.
Jonas werden wir auf unserer weiteren Etappe noch öfters treffen, er beeindruckt uns mit seiner lockeren Art und mit seiner Radreiseerfahrung. Trotz seinem zarten Alter von gerade mal 22 Jahren hat er schon einige tausend Kilometer in Europa abgeradelt und ist dabei auch viel alleine unterwegs. Wo wir bei wilden Übernachtungen schon zu zweit oft sehr unsicher sind muss er das ganz alleine meistern. Respekt!
Morgen wollen wir uns dann noch ein zweites Loireschloss, dieses Mal auch von innen, anschauen: Chenonceaux, das ein paar Kilometer abseits der Strecke liegt. Das Schloss wurde zuerst am Fluss Cher gebaut, später wurde dann die zugehörige Brücke elegant mit zwei Stockwerken überbaut. Ein wunderschönes Schloss mit großer Parkanlage.
Als wir hier auf dem Fahrradparkplatz einlaufen, dürfen wir uns für einen Moment richtig prominent fühlen als uns zwei junge Radreisende direkt mit „Hey, ihr müsst Tina und Udo sein“ ansprechen. Sind wir leider nicht, sie hatten nur am Vortag Michaela und Hubert getroffen, mit denen wir vor ein paar Tagen einen Camperabend verbracht hatten 🙂
Weiter mit „Loire-a-velo 3: Tours – St. Nazaire – Atlantik“
Herbstliche Grüße aus Markdorf,
ich bin ja eine Eurer fleißigen Leserinnen, und bin natürlich auch neugierig, wo Ihr mittlerweile schon seid? Sicherlich schon länger in Spanien unterwegs und bald an eurem Ziel…
Ich freue mich sehr mit Euch, dass Ihr auf Euren Lebenstraum von Nord nach Süd bisher ohne ganz große Probleme unterwegs sein konntet und wünsche Euch natürlich auch auf den letzten km viel Freude und schöne Begegnungen.
Heidi