Halden – Göteborg: Nordseeküstenradweg in Schweden
Jetzt also Schweden: Norwegen hat in uns wirklich wehmütige Gedanken hinterlassen, als wir die Grenze nach Schweden überquerten. Ein Abschied ist immer auch ein Neubeginn, neben der Wehmut wächst auch ein ganzes Stück Neugier auf dieses Land, auf die Bewohner, auf die etwa 800 Kilometer in diesem Land.
Die Reiseroute durch Schweden hatten wir beide sehr lange in Diskussion: Es hätte die Möglichkeit gegeben, schon auf der Höhe von Røros oder nach dem Femundsee nach Schweden zu queren. Alternativ eine Route am Meer entlang, die ab Halden an der Westküste entlang führt. Den Ausschlag gab dann, dass wir seit guten zwei Wochen in Norwegen übers Land und durch Wälder geradelt waren und beide wieder Lust auf Meerblick hatten.
Entlang der schwedischen Westküste führen jetzt zwei Radrouten: Von Norden kommend zuerst der schwedische Anteil des Nordseeküstenradwegs zwischen Halden und Göteborg, danach der Kattegattleden von Göteborg bis Helsingborg, wo die meisten Radreisenden die Schnittstelle nach Dänemark nutzen. Von hier aus müssen wir nur noch etwa 100 Kilometer auf kleinen Straßen suchen um unseren Sprung nach Deutschland -per Fähre ab Trelleborg- zu machen.
Die ersten Kilometer in Schweden beginnen auf einer Hauptstraße, die über den Svinesund führt. Noch nicht wirklich eine Nebenstraße, das hohe Verkehrsaufkommen erinnert uns daran, dass die E6-Schnellstraße kostenpfichtig ist und vermutlich sehr viele Norweger zum Einkaufen ins (billigere) Nachbarland Schweden fahren. Zum Glück führt unsere Strecke aber recht fix für die nächsten 15 Kilometer auf eine kleine Nebenstraße. Bevor ich’s vergesse: Der Wind kommt aus Süden und bläst Tina Vornesitzer ins Gesicht, die ersten Regentropfen mischen sich auch schon dazu, anscheinend ist der Zeitpunkt für uns gekommen, den ersten Campingplatz in Schweden zu testen.
Der Platz für unser Zelt ist ganz ok, aber die sanitären Einrichtungen können nicht verbergen dass die Renovierungen schon seit 10 Jahren überfällig sind. Dafür ist der Übernachtungspreis der höchste seit unserem Start am Nordkapp: Für ein Zelt mit 2 Personen und Rad werden uns hier knapp 30 Euro abgezogen. Die Dusche für 2€ pro 5 Minuten lehnen wir in Anbetracht der unappetitlichen dunklen Flecken in den Duschkabinen dann ab. Immerhin liegt der Platz sehr verkehrsgünstig, die Schnellstraße E6 ist die ganze Nacht gut zu hören.
Morgens lassen wir uns deshalb nicht ganz so viel Zeit, satteln unser Pino, klipsen Lasse Isbjørn an seinen Platz am Lenker und radeln los. Der Südwind von gestern ist nicht eingeschlafen und bremst unseren Elan deutlich aus. Immerhin ist der Verkehr für die ersten Kilometer noch erträglich, bis wir in die Nähe des ersten Touristen-Hotspot, Strömstad, kommen. Interessant, wie der Verkehr hier deutlich zunimmt und den Stresspegel der Meschen analog mit nach oben zieht. Ab hier haben wir für einige Kilometer keinen Spaß auf der Straße, werden häufig unnötig eng überholt und werden selbst auch mehr und mehr genervt. Wo bleibt der NordseeküstenRADweg?
Nehmen wir es vorweg: Der Nordseeküstenradweg ist eine knapp 6000 Kilometer lange Radroute, die die Nordsee umrundet und dabei in den sieben Ländern Dänemark, Schweden, Norwegen, Schottland, England, Niederlande und Deutschland immer in Nordseenähe führt. Wir kennen jetzt die 396 schwedischen Kilometer dieser Route und denken, dass dieser Nordseeküstenradweg auch mit sechs Ländern auskommen würde ohne an Reiz zu verlieren. Unser Rat für Radler dieser Nordseerunde wäre die Fähre von Dänemark direkt nach Norwegen, spart euch Schweden. Mag ein hartes Urteil sein, aber dieser Radweg glänzt mindestens zwischen Halden und Göteborg durch die ganzheitliche Abwesenheit von Markierungen und Richtungsschildern. Dazu führt er über weite Strecken entlang von Hauptstraßen ohne jeden Radweg, die mindestens jetzt -zur Haupturlaubszeit- voll von genervten Autofahrern sind, die alles andere besser brauchen können als 15 km/h langsame Straßenblockaden.
Einzelne Straßenanteile mit Radweg führen an der Schnellstraße entlang, was sie zwar sicherer macht, aber für uns jeglichen Reiz, dort radfahren zu wollen, im Keim ersticken. Realsatire ist, dass wir wirklich mehrfach von dieser „Radroute“ auf kleinere Straßen ausweichen um dem schlimmsten Verkehr auszuweichen… und dass wir das Meer nur ganz selten in Sichtweite haben.
Liebe Schweden: Lasst euch das mit dem Nordseeküstenradweg doch nochmal durch den Kopf gehen. Bestimmt lässt sich da an der einen oder anderen Straße eine Umgehung finden, oder -noch besser- ein ansprechender Radweg, abseits der Straße für die schlimmsten Ecken anlegen?
Für die zweite Nacht finden wir ein ruhiges Übernachtungsplätzchen am Waldrand.
Ein Windrad ist gerade so in Hörweite (und erinnert uns die ganze Nacht daran, dass der Wind noch aus Süden bläst), die Straße ist gerade so in Sichtweite aber praktisch nicht zu hören. So verbringen wir eine wunderbar entspannte Nacht in der Natur, kochen uns unseren Frühstückskaffee mit Blick auf eine Lichtung bevor wir uns in die nächste Schlacht werfen… sprich den zweiten Tag Nordseeküstenradweg.
Wir ersparen uns die Aufzählung der Straßen, die wir hier gefahren sind, es macht wenig Sinn, Nachahmer hierfür zu animieren. Immerhin kämpfen wir uns an diesem Tag 112 Kilometer im Gegenwind bis zu einer Campingplatzempfehlung, Camping Skärhamn. Der zugewiesene Platz für Zelte liegt hier zwar genau im Wind, dafür sind die sanitären Anlagen, die Gemeinschaftsküche und der Aufenthaltsraum supersauber und gepflegt… genau richtig für einen Ruhetag mit Blogupdate.
Die Landschaft, die wir in diesen Tagen gesehen haben ist sehr ansprechend. Sie ist zwar bei weitem nicht so spektakulär, wie wir die ersten Etappen in Nordnorwegen erlebt haben, aber die Mischung aus Wäldern, Getreidefeldern, Wiesen und -ab und an- Sandstränden ist sehr ansprechend. Immer wieder unterbrochen von Felsen mit ganz weichen Konturen, wie sie von der letzten Eiszeit zurückgelassen wurden und wie sie heute aus Feldern und Vorgärten ragen. Leider sind wir auf diesen Etappen etwas vorgespannt: Bei dem vielen Verkehr und bei dem zermürbenden, konstanten Gegenwind haben wir den Fotoapparat eher selten ausgepackt. Wir geloben Besserung.
In Göteborg erwartet uns ein Gastgeber, den wir über warmshowers.org gefunden haben. Christian lebt seit 8 Jahren mitten in Göteborg und nimmt uns für eine Nacht und eine warme Dusche bei sich auf. Klasse: Wir finden gleich einige Gemeinsamkeiten, wir arbeiten beide in der Raumfahrtbranche, spielen beide Gitarre, haben beide ein Faible für ferne Ziele. Genaugenommen hätten wir uns schon in Immenstaad, in Tokyo, in Shanghai, in Peking, in Seoul oder in Taejon über den Weg laufen können.
Für den Abend hat Christian ein Picknick mit uns geplant: Wir radeln auf einen Hügel im Stadtgebiet von Göteborg, sitzen vollkommen alleine auf den vielbeschriebenen runden Felsen praktisch über den Dächern von Göteborg, trinken ein Bier, singen und spielen Gitarre in den malerischen schwedischen Sonnenuntergang.
Christian: Vielen Dank nochmal für Deine Gastfreundschaft und für die gute Idee mit dem Picknick. Wir würden uns sehr freuen, Dich wieder zu treffen. Vielleicht auf einer Deiner Dienstreisen nach Deutschland? Wir hätten auch einen Berg inklusive Turm zum Gitarre spielen… vielleicht habe ich bis dahin ein bisschen von meinem Gitarrenrückstand aufgeholt 🙂
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