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VélOdyssée 1: St. Nazaire – La Rochelle

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VélOdyssée 1: St. Nazaire – La Rochelle

Seit gestern abend sind wir also wieder am Atlantik. Die Sonne scheint, der Wind bläst moderat aus West, am Strand tummeln sich einige zehn Kitesurfer und kämpfen mit Wind und Wellen.
Die französische Westküste ist eine Gegend Frankreichs, die wir schon oft im Urlaub besucht hatten und die uns beiden sehr gut gefällt: Die ewig weiten Sandstrände und Sanddünen, die hohen Pinienwälder die dem Land einen ganz eigenen Geruch einprägen, die mächtigen Atlantikwellen und das Wetter im Sommer, wenn die kräftige Sonne das Land trotz kontinuierlichem Wind vom Meer enorm aufheizt.

Entlang dieser Küste dürfen wir die nächsten 800 Kilometer bis zur spanischen Grenze radeln: Der französische Anteil des Eurovelo 1, der „Atlantik Route“, hat von der französischen Tourismusbehörde gleich zwei Namen bekommen: Vélodyssée und auch Vélocéan.

Wortspiele, die den Charkter dieser Route auch ganz gut treffen, die Radroute beginnt im äußersten Norwesten Frankreichs in der Bretagne und führt durchs Land bis Nantes, wo sie an der Loiremündung wieder auf den Atlantik trifft. Ab hier kämpft sich die Route kontinuierlich am Meer entlang, begleitet felsige Küstenabschnitte mit faszinierenden Blicken auf tosende Wellen die sich an den Felsformationen brechen, geht später für viele Kilometer durch sandige Pinienwälder, macht Abstecher direkt an endlose Sandstrände bevor sie sich am westlichen Fuß der Pyrenäen und hohen Felsküsten zur spanischen Grenze windet.

Wir greifen ein paar Tage vor: Die Radroute Vélodyssée hat uns ein bisschen gefangen. Frankreich hat insgesamt ein sehr schönes Radwegenetz, das für alle Abschnitte, die wir gesehen haben, auch sehr gut gepflegt ist und die Radweg-Ausschilderung ist die beste, die wir in ganz Europa gefunden haben. Schon die Kanalradwege haben einen ganz tollen Charme, aber die Vélodyssée legt da noch einen drauf.
Eine ganz klare 2RadReise-Empfehlung mit fünf Sternen: Wer sich einen abwechslungsreichen Radurlaub mit 400, 800 oder 1200 Kilometern gönnen möchte sollte sich diese VélOdyssée entweder in Etappen oder als Ganzes vornehmen.

 

Zurück zu unserem Trip: Da wir erst spät im September hier unterwegs sind wird die Campingplatzsuche schwieriger.
Die Saison endet grob um den 15. September und hier am Atlantik scheint man das Saisonende als Vorschrift zu interpretieren. Erst nach 19:30 abends haben wir einen offenen Campingplatz, Pornic, erreicht. Wir hätten jetzt ohnehin jeden Preis der Welt für ein trockenes Zeltplätzchen, eine Dusche und eine Toillette bezahlt, da empfängt uns die Frau hinter der Theke überschwänglich mit einem „special price for bike travellers“ und großem Tamtam. Sie ist keine wirklich gute Verkäuferin, wir haben sofort durchschaut, dass sie uns eigentlich übers Ohr haut und 3 Euro mehr kassiert als ihre Preisliste eigentlich hergeben würde.
Ist uns heute aber vollkommen wurscht, soll sie glücklich werden. Wir fangen keine Diskussion an und haben dafür schon eine halbe Stunde später unser Zelt auf den Platz genagelt.

Die Nacht wird dann nicht ganz ruhig, die Wohnmobilnachbarn haben nachts um 2 irgendeinen privaten Zwist auszutragen. Die Wortfetzen, die wir aufschnappen, lassen eine betrogene Ehefrau ebenso als mögliches Streitthema offen wie einen entlaufenen Hund, den einer noch suchen möchte, die andere aber am liebsten los hätte. Lustig: Am nächsten Morgen machen sie gemeinsam ihr Frühstück fertig. Manchmal geht Wiedervertragen wohl ganz schön fix.

 

Die folgende Tagesetappe soll uns nach St. Jean-de-Monts bringen, hier haben wir wieder warmshower Gastgeber für eine Nacht gefunden. Die Streckenlänge wäre für den Tag passend, allerdings liegt eine Passage auf dem Weg, die man nur zu zwei Zeiten am Tag fahren sollte.
Die Passage du Gois führt mitten durchs Meer auf die Insel Noirmoutier und ist nur während etwa zwei Stunden Ebbe befahrbar, zu den anderen Zeiten muss man entweder 4,5 Kilometer lang die Luft anhalten oder eben ein Boot nehmen, denn dann liegt die Strecke 2-4 Meter unter Wasser.

Klar könnte man in einem weiten Bogen aussen rum fahren, aber dieses Highlight gehört natürlich unbedingt in ein 2RadReise-Fahrtenbuch.
Allerdings liegt unser Passierfenster -Ebbe am Abend- erst bei 19:30, was uns jede Menge Zeit für die Anfahrt zur Passage du Gois lässt und uns die 25 Kilometer hinterher in echten Stress bringt um nicht erst mitten in der Nacht bei unseren Gastgebern, Jérome und Stéphane, anzukommen.

 

Tina Vornesitzer wollte heute schon früh einkaufen gehen um eine Ernährungskrise zu verhindern, Udo Hintensitzer wollte eher wenig Ballast mitfahren und später einkaufen. Dummerweise setzt er sich durch: Auf den letzten 30 Kilometern kommt dann wirklich KEINE Einkaufs- oder Einkehr-möglichkeit mehr und wir sitzen hungrig auf dem Trockenen.
Zum Glück steht an der Passage du Gois dann ein Kiosk… der gerade zu macht und bereits kalte Küche hat.
Wie bitte? Das Leben orientiert sich auf diesem einsamen Landzipfel doch zu 100% an der Befahrbarkeit der Straße, die Autoschlangen stehen hier immer dann, wenn sich die Ebbe ankündigt. Die Ebbe ist jetzt halt ein bisschen Anarchist, verschiebt sich von Tag zu Tag um runde 40 Minuten und hält sich ums Verrecken nicht an ordentliche Ladenöffnungszeiten.
Die sind in Frankreich wiederum heilig… und so hat dieses Kiosk immer zu denselben Zeiten auf, egal ob die Ebbe grade Kunden bringt oder ob die Flut für tote Hose sorgt.

Bringt Udo Hintensitzer ein bisschen tiefer in die Bredouille und unsere Mägen noch ein bisschen lauter zum knurren, während wir noch fast zwei Stunden auf die Befahrbarkeit der Passage warten.

Als wir dann endlich über die Passage reiten können -der Belag ist gar nicht so glitschig wie wir befürchtet hatten- treffen wir Jonas Kassigkeit in der Mitte der Passage.

Wir hatten Jonas schon an der Loire das erste Mal getroffen und freuen uns riesig über das Wiedersehen. Er ist heute nacht auch bei Jérome und Stéphane einquartiert und führt uns die restlichen 25 Kilometer zum Haus unserer Warmshower Gastgeber. Genialer Kerl: Jonas ist extra für uns nochmal zur Passage gefahren um uns abzuholen und uns den Weg zur Übernachtung zu zeigen.

Bei Jérome und Stéphane verbringen wir einen spannenden Abend. Obwohl Stéphane morgen schon um 5 Uhr aufstehen muss haben die beiden noch für unsere Ankunft um kurz vor 22 Uhr noch gekocht.
Wir quetschen die beiden noch lange über ihre Radreise-Erlebnisse aus: Die beiden sind zwei Jahre durch Südamerika geradelt und haben dabei jede Hauptstadt Südamerikas angefahren. Dagegen ist unsere 2RadReise ein Kindergeburtstag: Sie erzählen von -zum glück glimpflichen- Raubüberfällen mit Macheten und von Passüberquerungen bei weit über 4000 Höhenmetern. Von kilometerlangen staubigen Straßen ohne Wasser und von Übernachtungen in schlimmsten Gegenden. Merci pour vos histores de l’Amerique du Sud et pour votre hospitalitée!!!

Erst gegen ein Uhr hüpfen wir noch unter unsere warm shower und verziehen uns in unser Zimmer.

 

Der nächste Tag beginnt mit heftigem Regen, weder Jonas noch wir wollen uns in dem Wetter allzu früh auf den Weg machen. Nach dem Frühstück schreiben wir noch ein bisschen am Blog, Jonas sortiert seine Sachen, wir warten gemeinsam auf den versprochenen trockenen Nachmittag… der nicht kommen will.
Der Pizzaexpress hilft uns über den kleinen Hunger zur Mittagszeit, um ein Uhr geht Jérome auch zum arbeiten.
Er würde sich freuen, wenn wir heute abend immer noch hier wären, andernfalls sollen wir den Schlüssel bitte unter die ******* legen wenn wir gehen. Vielen Dank für dieses Vertrauen, Jérome!!!

Jonas trotzt dem Wetter ab zwei und schwingt sich auf sein Rad, wir verbummeln die letzten Regentropfen bis nach vier, legen den Schlüssel unter die ******* und starten unsere Tagesetappe so spät wie noch nie.

 

St. Jean-de-Monts mag teilweise eine schöne Stadt am Atlantik sein, heute sehen wir vor allem den hässlichen Teil mit bunten Touristenläden mit Plastikkram aus China, mit Ballermann-Trinkbuden, mit Disco und allen anderen Sachen, mit denen man Touristen halt so die Langeweile nehmen kann. Nicht unsere Welt, auch wenn sie hier schon halb im Winterschlaf versinkt.

Nicht sehr viel später rollen wir dann wieder auf einem Campingplatz ein, der kurze Tag hat uns gerade mal 25 Kilometer weitergebracht, aber immerhin. Es gibt noch warme Konserven, dann verkriechen wir uns vor dem Nieselregen im Zelt, nippen noch ein paar Tröpfchen von unserem Muscat de Rivesalt und schlafen ein.

Udo Hintensitzer ist morgens zum Spüldienst eingeteilt während Tina Vornesitzer traditionell das Innenzelt abbaut und die große Packtasche mit den Trockensachen einräumt.

„Uuuuudoo….. iiiiiiiiiiiiihhhhhhhhhh“ zählt nicht zu der normalen Ansprache auf unserer Reise, der laute Hilferuf klingt eher nach einem Säbelzahntiger im Zelt oder mindestens einer Klapperschlange im Zelteingang, die Tina nach dem Leben trachten.

Einen 50-Meter-Spurt später rette ich Tina Vornesitzer heldenhaft -vor einer Erdkröte, die sich in unsere Packtasche verirrt hat. Und die mindestens gleich erschrocken ist aber halt nicht so laut schreien kann.
Süßes Tierchen eigentlich, zum Glück hat Tina die gesehen bevor sie Schlafsäcke und Luftmatratzen in die Tasche gepresst hat!!! Mit Stöckchen und Landkarte schubsen wir die verängstigte Kröte vorsichtig aus der Tasche und lotsen sie zurück in die Hecke, wo sie sich wahrscheinlich normalerweise versteckt.
Und wir nehmen uns vor, die Taschen im Vorzelt künftig sorgfältiger zuzumachen. Kröte ist ja unangenehm… aber Schlange? Muss ja nicht sein.

Vor uns liegen heute so klingende Ortsnamen wie Les-sables-d’Olonne, Saint-Jean-d’Orbéstiér, aber auch solche wie Mort-a-l’âne (Eselgift?), La-faute-sur-mèr (der Fehler über dem Meer?).
Wir kommen aber erst mal wieder nicht ganz so weit. Beim ersten Fotostopp an der Felsenküste, gerade mal 10 Kilometer gefahren, sieht Tina Vornesitzer einen Fischladen, der aussieht wie vor 50 Jahren.
Udo Hintensitzer versucht noch, die Situation mit „…Fisch können wir doch eh nicht kochen“ zu entschärfen, aber es ist schon passiert: Tina Vornesitzer stürmt den Laden, entdeckt die frischen Riesengarnelen zusammen mit passendem Dip, kauft eine Tüte davon ein und fragt nach dem nächsten Bäcker.

Das wird das leckerste Vesper der Frankreich-Etappe: Frische Garnelen puhlen, backwarmes Baguette auf einer Parkbank mit Blick auf Felskante zum Atlantik. Leben wie 2RadReise in Frankreich.

 

Nach Les-Sables-d’Olonne geht es lange durch eine Marschlandschaft, die von Gräben und Tümpeln durchzogen ist. Erst nach einigen Kilometern wird uns klar, dass diese Gräben für Fisch- und Krabbenzucht gedacht sind und zahlreiche Fischer hier ihre Netze füllen. Noch mehr interessiert uns der Eisvogel, der uns hier wieder zweimal durchs Bild huscht… aber halt immer viel zu schnell unterwegs ist als dass man ihn per Foto festhalten könnte.

Abends wieder das Bild wie die letzten Abende: Ein Zeltplatz am anderen, einer genauso geschlossen wie der andere. Erst mit Hilfe von einem Anwohner finden wir spät abends noch einen geöffneten Platz, der uns aufnimmt.

Morgen fahren wir die restlichen 60 Kilometer bis La Rochelle, wo wir uns für zwei Nächte in der Jugendherberge reserviert haben um einen Ruhetag mit bisschen Geschichte bummeln einzulegen.

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