Wild übernachten…
oder auch „wir sind zu kompliziert dafür“
Als wir die Tür zum Casa Rural in Fuentes de Nava morgens hinter uns ins Schloss ziehen mahnt Tina Vornesitzer zum dritten Mal an, dass sie heute endlich mal wieder wild übernachten wolle, egal wie lange -oder kurz- die Tagesetappe dann wird. Geht mir ja genauso: Wenn man die Wahl hat, morgens in einer Pension von der Toilettenspülung des Zimmers nebenan oder lieber vom Ruf eines Kauz‘ geweckt zu werden fällt zumindest mir die Entscheidung recht einfach.
Auf der 2RadReise hatten wir einige Übernachtungen an schönen Plätzchen, seit Frankreich und Spanien aber eher weniger, wir stellen uns einfach zu kompliziert bei der Suche und bei der Entscheidung an.
Trotzdem, der Vorsatz steht: Den ersten halbwegs brauchbaren Platz, der uns heute vor die Flinte läuft werden wir entern, ganz egal ob da Bauern oder Spaziergänger rumhängen. Und egal, ob man uns da eventuell aus irgendeiner Ferne sehen könnte.
Zu oft haben wir uns davon abschrecken lassen, heute abend steht das 2RadReise-Zelt gefälligst wieder an einer schönen Stelle ohne Nachbarn!
Die Vorzeichen stehen gut: Nur wenige Kilometer nach Fuentes de Nava können wir wieder auf den Treidelweg am Canal de Castilla abbiegen, an diesem Treidelweg sind bis nach Medina del Rioseco mindestens zwei Schleusen auf unserer Karte eingetragen. Außerdem hat so ein Kanal immer mindestens eine oder zwei Baumreihen Wald in beide Richtungen, die einen optisch ein bisschen von Landwirtschaft und Straßen abschotten. Und drittens sind Kanal und Schleusen nie Privatbesitz, so dass wir schon mal niemandem auf die privaten Füße treten können. Höchstens so ein Dorfpolizist oder eine Guardia Civil… aber die kommen ja nachts eher nicht an Kanälen entlanggefahren.
Klingt als wären wir kompliziert? Kommt noch schlimmer 🙂
Das Reisetempo an diesem Vormittag ist dann auch eher bummeln als Pino fahren bis wir an einer ersten Schleuse, direkt an der Straße, vorbeikommen. Den könnte man schon mal in die Klasse „Notübernachtungsplatz“ hieven, aber direkt an der befahrenen Straße und aus beiden Richtungen einsehbar ist’s dann doch nicht.
Wir machen stattdessen Mittagspause, spazieren ein bisschen den Kanal auf der Suche nach „DEM“ Platz flussaufwärts, werden aber nicht fündig.
Aber jetzt fängt der Treidelweg ja erst richtig an, eine halbe Stunde später kommen wir schon an die nächste Schleuse.
Ok: Pluspunkt ausreichend flache Wiese, dafür -Minuspunkt- sehr einsehbar, wenn auch nur von einem Feldweg, der hier den Kanal quert. Der wird gleich mal unser Platz zweiter Wahl, vorher wollen wir aber sicherheitshalber noch die nächste (und letzte) Schleuse auf dem Weg nach Medina del Rioseco anschauen.
Wir kommen hin und … sind verliebt in den Platz. Nicht nur, dass der Herbst hier ganz besondere Fotomotive zeigt, es gibt sogar ein Wieslein ein bisschen abseits vom Feldweg. Mit Bank!!!
Perfekt für unsere Übernachtung, dumm nur dass es gerade mal kurz nach zwei Uhr nachmittags ist und wir die Karten jetzt beim besten Willen noch nicht offenlegen wollen. Jetzt können wir das Zelt jedenfalls noch nicht aufstellen.
Alternativprogramm: Kaffee kochen, Madeleines im Kaffee tunken, Blog tippen, Fotos machen… vier Uhr.
Bis dahin sind gerade mal zwei/drei Radfahrer und zwei Bauern vorbeigefahren und eine kleine Gruppe Angler hergekommen. Alles im grünen Bereich, die sind nach Dämmerung mit Sicherheit wieder weg, das ist noch vollkommen kompatibel mit einem 2RadReise Traumplätzchen.
Ok, mit der Gruppe Fotografen, die jetzt herparken wird’s doch ein bisschen viel… aber wir sind immer noch wild entschlossen. Was macht ein Fotograf, wenn die Sonne weg ist? Richtig: Dem geht das Licht aus und er fährt wieder heim um Bilder auszusortieren.
Damit wir nicht zu offensichtlich den ganzen Abend hier herumhängen und den Anglern, Radlern und Fotografen zu sehr auffallen beschließen wir, für eine Stunde wegzuradeln und nach Sonnenuntergang zurückzukommen. Nämlich dann, wenn hier alles ruhig ist und außer Fuchs und Hase keiner mehr da ist.
Eine Stunde später, die Sonne ist untergegangen, 2RadReise kommt zurück zur Schleuse und hört schon aus der Entfernung ein „Un, dos, tres“… die Fotografen hatten offensichtlich auch Pläne für nach Sonnenuntergang: Vollmond mit Langzeitbelichtung.
Kaum zu fassen, jetzt stehen wir im Dunkeln auf dem Kanalweg und haben plötzlich keinen Platz mehr für die Übernachtung.
Plan B: Wir telefonieren mit den Hotels in Medina um ein freies Zimmer für die Nacht zu bekommen. Spanischlektion für Hintensitzer: Zimmer heißt auf spanisch habitacion, nicht camisa. Vielleicht liegt’s daran, dass sie wirklich ausgebucht sind, vielleicht winken sie aber auch ab, weil Udo Hintensitzer mit seinem ‚Spanisch‘ versucht anzufragen, ob dort ein Hemd (camisa) für zwei Personen frei hätten. Haben sie verneint 🙂
F***, jetzt geht es gegen 20 Uhr, es ist stockdunkel, es wird kalt und wir stehen mitten in der Prärie und müssen einen Plan C aus der Tasche zaubern. Bleibt nur die Schleuse weiter oben, die wir schon mal als Notplatz definiert hatten.
Komplett ohne Licht radeln wir jetzt das Pino über den dunklen Treidelpfad, schaffen es dabei nur mit Mühe, nicht ins Wasser zu fallen und bauen unser Zelt direkt neben dem Feldweg auf. Trinken eine nur mäßig gemütliche Flasche Wein -Tina Vornesitzer ist von dem Platz und der Abendhektik nur bedingt begeistert- und versuchen zu schlafen…
Gelingt uns doch überraschend gut bis 6:30 am nächsten Morgen, wir bauen das Zelt ab, packen das Pino und fahren zum gestrigen Platz für das Frühstück. Hier sollte die Sonne schon recht früh über den Horizont blinzeln und uns hoffentlich ein bisschen wärmen.
Der Holzkocher brennt gerade richtig schön hoch unter dem Wassertopf… fährt ein Traktor vorbei. Udo Hintensitzer hatte das Kaffeekochen extra mitten auf einen großen Kiesparkplatz verlegt damit wirklich nichts anbrennen kann.
Trotzdem ist der Traktorfahrer anscheinend nicht sehr amused unsere Flamme zu sehen, jedenfalls kommt -wir sitzen kaum mit dem Kaffee auf dem Bänkchen- ein Auto mit offiziellem Aufdruck auf den Parkplatz. Dreht eine quälend langsame Runde über den Parkplatz… hey, der wird doch nicht über den noch heißen Kocher fahren!!! Macht er nicht, hält aber direkt neben dem Hobo an und schaut ihn sich an, fühlt, ob er heiß ist. Klar, ist er!
Wir rechnen uns schon mal den Anschiss und die Gebühr für die Ordnungswidrigkeit wild zelten plus Feuer machen aus, während der Kollege aussteigt -er ist dunkelblau angezogen und hat einen offiziellen Aufnäher auf dem Pulli- und zu uns kommt.
2RadReise zaubert ein nervös freundliches Lächeln ins Gesicht und versucht seine Fragen möglichst zitterfrei zu beantworten: Wo wir herkommen, ob wir auf dem Camino seien. Ah, wir haben Kaffee gekocht? Jepp, haben wir.
Der Spuk dauert dann keine zwei Minuten und -„Buen Camino“- der Offizielle geht wieder. Naja, entweder ist er vollkommen zufrieden damit, dass unser Feuer keine Gefährdung für irgendjemanden war und lässt uns weiterziehen. Oder er macht es wie es der Traktorfahrer von heute morgen auch gemacht hat: Die nächste Instanz anrufen und herschicken.
Der Kaffee schmeckt trotzdem lecker im Sonnenaufgang, wir lachen noch ewig über unseren Schiss bei dieser Begegnung… und schrecken trotzdem bei jedem näherkommenden Auto auf: Kommt jetzt doch noch ein Auto mit „Guardia Civil“ vorbei um uns die Hammelbeine langzuziehen?
Kommt zum Glück nicht… weiter mit der nächsten Etappe