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Jakobsweg 1: Pamplona – Burgos
Gestern sind wir also auf dem Jakobsweg angekommen. Eigentlich gibt es viele Megabyte Information, viele Bücher, viele persönliche Erfahrungsberichte über den Jakobsweg, auch Hollywood hat sich schon ausgiebig um den Camino gekümmert, was sollen wir darüber noch ausführlich schreiben?
Versuchen wir’s mit unserer persönlichen Sicht auf diesen Weg nachdem wir einige Stunden darauf verbracht haben:
Der Jakobsweg ist ja in erster Linie ein unendliches Netz an Pilgerwegen, die sich aus ganz Europa kommend mehr und mehr zusammenfädeln um ganz final an der Kathedrale in Santiago de Compostela zu enden. Unendlich viele kleine Wege, fast jeder wird von sich sagen können, dass er doch „ganz in der Nähe“ eines Jakobswegs wohnt und die Schilder mit der gelben Jakobsmuschel auf blauem Grund schon gesehen hat.
Der wohl berühmteste -und meistgegangene- Weg ist der Camino Francés, der von Saint-Jean-Pied-de-Port über die Pyrenäen nach Pamplona und dann in Ost-West Richtung bis nach Santiago de Compostela in Galizien führt. Leute, die die Bremse dort nicht auf Anhieb treffen gehen auch gerne bis zum Atlantik nach Kap Finisterre („Ende der Erde“) weiter, wo man wirklich aufhören muss wenn man keine nassen Füße bekommen will.
Knapp 800 Kilometer über weitgehend sehr anspruchvolle, bergige Etappen, staubige und steinige Wege mit wenig Schatten. Aber auch unzählige Dörfer mit mindestens ebensovielen Kirchen, Eremitagen, die am liebsten alle auch den Camino im Beinamen tragen wollen.
Extrem spannend sind die Menschen, die hier wandernd unterwegs sind, hier müssen wir unser früheres Vorurteil grundlegend revidieren: Hatten wir doch hauptsächlich mit ganz besonders spirituellen Wanderern gerechnet, dazu noch mit Pilgerern, deren religiöse Vorstellungen für Ottonormalbeter nicht immer ganz nachvollziehbar sind, treffen wir ganz andere Leute als erwartet.
Obwohl wir mit dem Oktober vermutlich eine Pilgernebensaison sehen, treffen wir doch innerhalb eines Tages ganz locker Menschen aus allen Kontinenten. Den einzelnen Wanderer aus Mexiko in der Herberge, ein Paar aus Australien, dessen gute Laune kaum zu bremsen ist, mehrere Amerikaner, die von Hollywoods „The Way“ inspiriert waren, Paolo aus Singapur oder sehr viele Wanderer aus Südkorea und China -deren Wandermotive wir mangels Chinesischkenntnisse bei uns und Englischkenntnissen bei denen nicht erfahren konnten.
Und dann noch ganz besondere Geschichten wie die von Julian und Laura aus der Schweiz, die sich hier auf dem Jakobsweg kennengelernt haben. Nachdem sie in der Schweiz vielleicht gerade mal 100 Kilometer auseinanderwohnen gehen beide ZUFÄLLIG denselben Weg durch Frankreich und Spanien. Julian ab Zürich, Laura ab Le Puy/Ostfrankreich, treffen sich zufällig auf dem Jakobsweg mit demselben Ziel und…. sehen fast aus würden sie bis Santiago zu einem besonderen Paar werden. Ist das Vorsehung?
Vermutlich zieht der Camino Francés seine Popularität nur zu einem Teil aus dem religiösen Pilgergedanken. Was diesen Weg für jede Art von Wanderern aber so genial macht, ist seine perfekte Infrastruktur: Jedes Dorf auf dem Weg bietet neben einer Pilgerherberge mit Massenschlafsälen mindestens noch ein halbes Dutzend günstiger Pensionen. Dazu Einkaufsmöglichkeiten, Wasser, Cafés, günstige Restaurants und sogar einen Rucksackservice. Richtig: Rucksackservice. Der geschundene Rücken des Pilgerers kann für günstige 5 Euro einen Tag lang entlastet werden, dann fährt ein Dienstleister den schweren Sack zur gewünschten nächsten Ortschaft.
Zur Infrastruktur kommt dann die Anzahl der Wanderer. Je nach eigener mentaler Situation kann man ganz leicht einen Tag lang in eigenen Gedanken vor sich hinwandern (man muss nur schauen, die wegweisenden Muscheln nicht zu verbummeln) ohne einen Ton kommunizieren zu müssen.
Genauso kann man sich aber auch jederzeit an einen oder mehrere andere Pilgerer anklammern und denen Geschichten in die Ohren schrauben bis die nicht mehr wollen. Manche scheinen auch den Partner fürs Leben dort zu finden… eine gemeinsame Ader zu Wandern hat man ja schonmal.
Viele der Pilgerer scheinen das auch zu genießen. Wir haben mehrere Leute gefunden, in deren Leben ein harter Bruch der Initiator für die Wanderung war und die diese Mischung aus In-sich-gehen aber auch gleichzeitig ausreichend Kommunikation mit interessanten anderen Menschen zu finden als Zündfunke für ihr weiteres Leben suchen.
Und… sind wir ganz ehrlich: Ein wenig Magie dieses Weges fühlen wir plötzlich auch in uns.
Soviel zur Philosophiestunde, zurück zur 2RadReise:
Wir haben gut geschlafen. Mag an den Matratzen der Herberge liegen, an der ruhigen Umgebung im Ort oder vielleicht auch an dem wirklich sehr anstrengenden Vortag mit den vielen Höhenmetern.
So eine Gemeinschaftdusche ist dann doch noch ein bisschen gewöhnungsbedürftig, dafür ist das Frühstück mit anderen Pilgern und deren Geschichten ganz gesellig. Der Kaffee stand zwar schon gestern kalt in der Kaffeekanne, tut dem schwäbisch/schottischen Grundgedanken des Herbergsvaters aber keinen Abbruch. Den kann man ja in der Mikrowelle nochmal warm machen bevor man ihn mit „con leche“ serviert.
Wir wollen nicht nörgeln, bei einer Übernachtung im Doppelzimmer für 35 Euro inklusive Frühstück für zwei Personen ist halt Kaviar und Champagner nicht immer dabei.
Dafür bekommen wir -standesgemäß- beim Bezahlen noch eine Jakobsmuschel geschenkt. Der Herbergsvater hat sicher gleich erkannt, dass wir ganz besondere Musterpilgerer sind.
Wir folgen in den nächsten Tagen weitgehend dem Jakobsweg, der meist ein staubiger und steiniger Feldweg in Traktorbreite ist. Abhängig von der Steingröße und Holprigkeit ist das manchmal ganz gut zu fahren, selten höppeln wir aber mit dem Pino so von Stein zu Stein dass wir uns fast Sorgen um Materialermüdung und Gepäck machen müssen.
An vielen Stellen nehmen wir aber auch die Straße als Umfahrung, wenn die Steigungen auf dem Jakobsweg zu fies oder die Wegbeschaffenheit zu grob aussieht.
In Puente la Reina trinken wir in der Hauptgasse einen zweiten Kaffee und lassen die vorbeiziehenden Pilgerer auf uns wirken. Fühlt sich wirklich magisch an, hier zu sein, erst nach dem dritten Kaffee machen wir uns weiter auf den Weg.
Maroni kochen steht noch fest auf unserem Plan, wir trauen uns in der trockenen Landschaft und wegen der vielen „Feuer verboten“ Schilder aber nicht, unseren Holzkocher auszupacken. Erst gegen Abend finden wir einen Rastplatz mit Grillstelle wo wir den Hobo aufbauen können.
Toll: Es ist Oktober und wir vespern Maroni im Freien. Fast wie Weihnachtsmarkt. Nur, dass die Maroni selbstgesammelt sind und der Wein ohne Glüh ist.
Die Route führt uns in den nächsten Tagen über Irache, Navarrete und Grañon über die besagten Wanderwege. Udo Hintensitzers neuer Sattel aus dem Irun-Ruhetag harmoniert seit Anfang an recht wenig mit des Hintensitzers Hintern. Das, in Verbindung mit den wirklich holprigen Wanderwegen trägt nur mäßig zur guten Laune bei, in Navarrete hat der neue Sattel verloren und muss seinen Platz wieder gegen den alten -jetzt geflickten- Sattel tauschen. Wirkt sofort, radeln macht gleich wieder viel mehr Spaß.
Insgesamt erleben wir vier ganz besondere Tage mit herrlicher Landschaft auf diesem Teil des Camino Francés bevor wir in Burgos unseren nächsten Ruhetag machen. Den wir auch verdient haben: Nicht nur, dass die Strecke enorm hügelig ist, wir haben hier auch den höchsten Punkt unserer 2RadReise vom Nordkap nach Gibraltar erreicht: Der Espinosa-Pass mit 1150 Metern Höhe.
Ein neues Hobby haben wir auch für uns entdeckt: Stempel sammeln. Wir haben schon gemerkt, dass wir den Pilgerausweis wohl gar nicht brauchen werden, weil Tina Vornesitzer sich standhaft weigert, das Erlebnis Massenschlafsaal in einer örtlichen Pilgerherberge für günstige 5-8€ pro Nacht zu buchen. Schade eigentlich.
Trotzdem macht es uns riesig Spaß, Stempel in jeder möglichen Ortschaft -sei es in der Pilgerherberge, in der Bar oder in der Kirche- abzuholen. Sind halt doch Musterpilgerer,
Buen Camino!
Weiter mit der nächsten Etappe
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