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Usedom – Oder-Neisse-Radweg bis Frankfurt/Oder

Usedom – Oder-Neisse-Radweg bis Frankfurt/Oder

Unsere Schwedenetappe hatte uns wettertechnisch ziemlich geschlaucht, nach 11 Tagen Gegenwind und kühlem Wetter lag unsere ganze Hoffnung im Sprung nach Mittel- und später Südwesteuropa: Wir freuen uns auf Sommertage, würden gerne noch an Flüssen oder Seen unsere Badestopps machen und an lauen Sommerabenden VOR dem Zelt bei Bier und Lagerfeuer Gitarre spielen.

Die Fährenüberfahrt von Trelleborg/Schweden nach Swinemünde/Polen dauert etwa 6 Stunden und so ist es kurz vor Mitternacht als wir das Pino -hinter gut 30 LKWs- aus der Fähre schieben.

Beim 10 Kilometer entfernten Campingplatz Kamminke am Stettiner Haff hatten wir uns vorab schon als Spätankommer angemeldet und so suchen wir uns jetzt, mitten in der Nacht, den Weg von der Fähranlegestelle zur deutsch-polnischen Grenze. Kurz hinter dieser Grenze hat unsere Karte einen Waldweg eingezeichnet, mit dem wir die Strecke zum Campingplatz um ein paar Kilometer abkürzen können. Natürlich höchst willkommen, wenn wir eh erst gegen ein oder zwei Uhr unsere Zeltheringe in den Boden drücken können… aber wir können ja beim Grenzübergang noch nachfragen ob dieser Waldweg sinnvoll fahrbar ist.

Denkste: Es ist schon ein Uhr nachts, als wir den winzigen Grenzübergang erreichen und in Zeiten von Schengen sitzt hier natürlich KEIN Grenzer mehr. Nicht mal eine Straßenlaterne, die diesen schengengeografisch vollkommen unwichtig gewordenen Punkt beleuchten würde. So sind wir mit der Beurteilung der Waldwegqualität halt auf uns selbst gestellt, wir biegen hochoptimistisch links in den noch dunkleren Wald ab.
Ganz schön gruselig hier: Sobald wir auch nur kurz stehen bleiben um sandige Abschnitte des Wegs genauer anzuschauen schaltet das Pinolicht in den Modus „traurige Standlichtfunzel“ und wir stehen wirklich im schwarzen Nichts.

Wir basteln schon ein wenig an unserer Waldweg-Verschwörungstheorie, nach der jeder Waldweg zuerst gut aussieht und dann, nach einer gewissen Toleranzdistanz, in kleinen Schritten immer schlechter wird. Nach dieser Theorie wartet der Waldweg dann bis zu dem Punkt, an dem man ganz sicher NICHT mehr umdrehen möchte, um ganz kurzfristig danach in die Qualitätsstufe „überhaupt-nicht-mehr-fahrbar“ zu wechseln.

Natürlich ist der Waldweg nach Kamminke genauso hinterlistig: Er fängt zuerst ganz gut fahrbar an, bevor wir mehrere Male schieben müssen weil wir uns mit der Streckenführung nicht sicher sind und weil es steiler nach oben geht. Und es endet wie zu erwarten mit einem finalen Hindernis. In diesem Fall mit einem umgestürzten Baum, vor dem wir uns plötzlich wiederfinden.
Ein Rätsel, warum die Forstarbeiter zwar den Hauptstamm gesägt und auf die Seite geräumt haben aber die Krone mit armdicken Ästen weiterhin auf dem Weg liegen lassen haben. Für ein Umkehren ist es schon viel zu spät, wir haben weder Lust auf dem Waldweg zurückzufahren noch auf den weiten Umweg auf den normalen Straßen und müssen folgerichtig das Tandem inklusive Gepäck und Anhänger über diese Straßensperre wuchten.

Die Aktion dauert ungefähr 10 Minuten im stockdunklen Wald, der Waldweg nimmt wieder den hinterlistigen Zustand guter Qualität an und wir rollen weiter.

Da!!! Mitten auf dem Weg steht plötzlich eine Familie Wildschweine vor uns, die -zum Glück- anscheinend mehr vor uns erschrecken als wir vor ihnen. Jedenfalls stieben Muttersau Bache und die meisten Frischlinge seitlich in den dunklen Wald weg, nur zwei der Kleinen verirren sich kurzzeitig nochmal vor uns auf den Weg.
Mit Puls 180 ist die erste Reaktion von Udo Hintensitzer, Stärke und Selbstbewusstsein zu demonstrieren (beziehungsweise vorzulügen) und ein forsches „OOOOaaaaahhh, jetzt aber WEGWEGWEG!!!“ zu brüllen. Funktioniert, wir haben Glück und die Wildschweinsichtung bleibt die letzte in dieser Nacht… und wir lachen noch Tage später über diese Begegnung.

Eine knappe Stunde später steht unser Zelt dann fix und fertig auf dem Campingplatz und wir widmen uns dem Horchen am Kopfkissen.

Die Etappenplanung für die nächsten Tage sieht den Oder-Neisse-Radweg von Ueckermünde bis etwa Frankfurt/Oder vor, wo wir Udo Hintensitzers Eltern auf zwei/drei Ruhetage treffen wollen. Dafür starten wir in Kamminke mit dem Schiff Privall V über das kleine Stettiner Haff nach Ueckermünde am späten Nachmittag.

Das Schiff fährt täglich 3 Mal auf dem Stettiner Haff und transportiert Ausflügler wie Radfahrer, die das Haff auf Usedom umrunden oder ein Streckenstück des Berlin-Usedom-Radwegs abkürzen.

Zum Glück hat das Schiff kein Problem mit dem ewig langen Pino, allerdings müssen wir das komplette Gepäck und den Anhänger abbauen um das Rad an seinen Platz an der Reling zu hieven. Gemeinsam mit gut 10 anderen Rädern fahren wir an diesem Tag nach Ueckermünde und bauen unser Zelt auf dem Campingplatz auf. Morgen geht’s auf den

Oder-Neisse-Radweg.

Der Oder Neisse Radweg führt auf 630 Kilometern von Nová Ves in Tschechien bis zum Stettiner Haff und begleitet nach etwa 50 Kilometern in Tschechien  die Neisse und später die Oder entlang der deutsch/polnischen Grenze. Er durchquert auf der Strecke sehr interessante, grüne Landschaften wie die Lausitz und weiter im Norden das Naturschutzgebiet Unterer Oderbruch.

Wir wollen dem Radweg nur bis etwa Frankfurt/Oder folgen und starten am nördlichen Ende des Radweges in Ueckermark. Schon recht bald zweigt der Radweg von den Kleinstraßen ab auf eine frühere Eisenbahntrasse „Randower Kleinbahn“ zwischen Rieth und Hintersee. Auf diesen früheren Bahnstrecken fühlen wir uns immer sehr schnell wohl: Fast immer entführen einen diese Strecken aus den Ortschaften heraus in ruhige Landstriche, die oft sogar fast einen unberührten Eindruck machen und zum ganz gemütlichen, langsamen Vorwärtsrollen und Schauen einladen.

So auch hier, diese etwa 8 Kilometer führen durch den Wald und die Linie schneidet eine wirklich schöne Gegend an.
Kurzen Halt machen wir noch an einem Dorfmuseum, in dem Gegenstände aus dem Leben vor knapp 100 Jahren liebevoll zusammengesammelt ausgestellt sind.

Es geht weiter über kleine Straßen und Radwege bis man bei Mescherin zu ersten Mal die Oder und den Oderdeich erreicht. Auch hier fahren wir die meiste Zeit durch hohe Wälder und der Übergang zum Naturschutzgebiet ist fast fließend, nur die Dichte an Verbotsschildern nimmt mit dem Naturschutzgebiet schlagartig zu.

Es wird uns ein Rätsel bleiben, warum wir so viele Verbote brauchen: Im Naturschutzgebiet ist Müll weg werfen verboten, Blumen pflücken verboten, Reiten verboten, Feuer machen verboten, Zelten verboten, undsoweiter. Welch ein Quatsch: Ist Müll wegwerfen neben dem Naturschutzgebiet erlaubt und erwünscht? Darf man einen Löwenzahn im Naturschutzgebiet nicht pflücken, aber eine geschützte Planze außerhalb schon? Wild zu zelten ist ohnehin per Gesetzbuch nicht erlaubt, warum jetzt noch einmal explizit verbieten?

Uns würde es jedenfalls viel besser gefallen, wenn man sich Mühe geben würde, junge Menschen gezielt in Naturschutzgebiete zu führen und ihnen dort auch verantwortungsvolle Freiheiten zu geben damit sie die Natur auch genau in dieser Form zu nutzen und zu schätzen lernen. Stattdessen füllen wir Schilder mit Verbotszeichen.

Egal: Wir entscheiden uns, die Verbote zähneknirschend zu akzeptieren, nicht zu reiten, nicht zu zelten und unseren Müll nicht wegzuwerfen und wählen die Umwege, die direkt durch das Naturschutzgebiet führen.
Zum Glück ist ein Vesper hier nicht verboten… so überbrücken wir die Zeit bis zum frühen Abend: Wenn man Tiere sehen möchte ist die Mittagszeit denkbar unpassend, die besten Chancen bietet die Dämmerung, auch wenn man sein Zelt dann später im Dunkeln aufbauen muss.

Es lohnt sich, zuerst gibt uns ein Fuchs die Ehre, der durch die hohe Wiese streunt und sein Abendessen sucht. Dann ein Eisvogel auf dem Weg zu seinem Fischplatz und später noch ein Rehbock, der sich nur 5 Meter hinter uns unvorsichtig aus dem Gebüsch wagt, höllisch an uns erschrickt und mit lautem ‚Bellen‘ in Gegenrichtung abhaut. Den Fuchs können wir ablichten, für Reh und Eisvogel langt unsere Fotoreaktionszeit bei Weitem nicht aus. Vielleicht klappt das ja noch später mal auf unserer 2RadReise.

So verbringen wir den Tag bis zur Dämmerung im Naturschutzgebiet , sehen und hören noch einen riesigen Schwarm Kraniche beim Anflug auf ihren Schlafplatz, radeln erst nach Sonnenuntergang in Richtung Schwedt… und werden von lautem Rascheln in einem straßennahen Baum nochmal aufgehalten: Da klettert glatt ein junger Waschbär den Stamm hoch und weiß nicht so richtig, was er mit uns anfangen soll.
Er bekommt sein Selfie und wir radeln endlich auf den Campingplatz.

Und es häuft sich: Wieder ist es stockdunkel, als wir die Heringe in den Boden drücken und unsere Luftmatratzen aufpumpen.

 

Das Naturschutzgebiet unterer Oderbruch, Teil des „Natura 2000“ hat uns jedenfalls sehr gut gefallen, wir würden das uneingeschränkt weiterempfehlen. Schöne Spaziergänge, sehr abwechslungsreiche Landschaft mit Wiesen, hohen Weiden, Schilfgebieten mit Bibergewässern, Ufergebiete, da kann man in einem Nachmittag alles haben.

Der Schwedter Campingplatz hält uns am nächsten Morgen noch etwas länger: Wir haben zum ersten Mal seit langem einen warmen, sonnigen Vormittag und gönnen uns die zweite Kanne Kaffee.
Udo Hintensitzer macht den zweiten größeren Kundendienst am Pino Hase, wechselt die Mäntel und die hintere Kette (siehe Wartungslog 2RadReise), Tina Vornesitzer muss dringend ihre emails in ihrem Shop für Kinderartikel abarbeiten.
So wird es wirklich halb vier nachmittags, bis das 2RadReise-Pino wieder auf die Straße geht… nein, richtig muss es heißen, bis das Pino wieder auf die Betonplattenwege des Schwedter Polders ausläuft.

Den Tieren scheint es heute zu heiß zu sein, sie halten sich unsichtbar im Unterholz und so gilt unsere Konzentration schon bald auf die Suche nach einem Übernachtungsplatz.

Daran müssen wir noch arbeiten: Das eine Plätzchen ist zu offen sichtbar, das nächste zu tief im Wald, das Dritte zu uneben, das Vierte ist vom Untergrund zu feucht. Und das Fünfte ist wieder zu offen sichtbar. Warum sind wir da bloß so kompliziert und wählerisch?
Fischer und Angler übernachten regelmäßig irgendwo am Bach oder See, Parties am Grillplatz kommen ohne ausnüchternde Übernachter auch nicht aus… nur wir haben ein schlechtes Gewissen, das Zeltz ordnungswidrig in eine Wiese zum Biwaken zu stellen.

 

Ein Platz neben einer stillgelegten Eisenbahnbrücke wird dann der Platz der Wahl. Tina Vornesitzer hört es zum Glück nicht so richtig: Udo Hintensitzer hört noch lange einem recht wuchtigen Grummeln und Quiken im nahen Unterholz zu. Dem zugehörigen Wildschwein will ich beim nächtlichen Spaziergang nicht wirklich begegnen.
Gegen später wird es doch zu einer ruhigen Nacht, abgesehen vom Wecker um 6:30: Tina Vornesitzer will das Zelt früh abbrechen, bevor die ersten Spaziergänger und Radler vorbeikommen.

Es geht für uns jetzt in die letzte Tagesetappe auf dem Oderradweg. Udo Hintensitzers Eltern machen am Schwielochsee Urlaub, das könnte in ein- oder zwei Tagesetappen machbar sein. Der Wind sieht das auch so, er weht zum ersten Mal seit Wochen von hinten und schiebt das LastenPino zügig vorwärts. Die Tage am unteren Oderbruch waren recht spektakulär für uns, deshalb macht es uns heute gar nichts aus, recht flott an der Landschaft vorbeizurauschen.

Wer steht denn da?

Der Tageskilometerzähler des Tacho zeigt schon 60 Kilometer an, der Wind hat sich die Richtung nochmals überlegt und hat die Rückenwindsache eingestellt, es könnte doch knapp werden mit der Eintagesetappe bis zum Schwielochsee.

In der Wiese neben dem Deich steht ein weißer Kombi geparkt, auf dem Deich stehen zwei Personen und feuern uns winkend an. Erinnert an Situationen beim Triathlon in Roth. RICHTIG: Udo Hintensitzers Eltern überraschen uns hier mit einem Picknick und Sekt… eine irre Freude, sich nach einigen Wochen Radtour so wiederzusehen. Überraschung gelungen!!!

Wir schwärmen noch bis nach 21:00 Uhr von dieser Überraschung, so lange sitzen wir nämlich noch auf dem Pino bis wir nach knapp 140 Tageskilometern auf dem Campingplatz Laichhardt am Schwielochsee einrollen.

Hier legen wir auch die erste wirklich längere Ruhepause auf der 2RadReise ein, verbringen zwei Tage auf der Spree beim Paddeln und einen Tag komplett faul beim Zelt.

Weiter mit Schwielochsee – Dahlen, Nasenbeinbruch…

Die Fotogallerie von dieser Reiseetappe: