Ein Lebenstraum von Nord nach Süd

Schwielochsee – Dahlen, Nasenbeinbruch!

Donnerstag morgen, nach drei Ruhetagen am Schwielochsee / Spreewald machen wir uns wieder radelfertig.
Die Beine fühlen sich nach der Pause richtig gut an, dafür ist das Pino schlagartig um zehn Kilo schwerer geworden: In der Anfahrt zum Schwielochsee waren unsere Vorräte ganz  nahe bei Null gewesen, jetzt haben Udo Hintensitzers Eltern ganze Arbeit geleistet. Neben unserer üblichen Verpflegung liegen jetzt nämlich mindestens 8 Päckchen Gummibärchen in unserem Küchenkoffer. Das dürfte Gummibär-Junkie Udo Hintensitzer wenigstens für eine Woche reichen 🙂 .

Udo Hintensitzers Eltern verabschieden den Gummibärchen-Express

Udo Hintensitzers Eltern verabschieden den Gummibärchen-Express

In den nächsten Tagen steht für uns die Querung in Richtung Süd/Westdeutschland an, für die wir leider keine wirklich zusammenhängende Routenführung finden.
Die Flüsse in Ostdeutschland sind vornehmlich Nord/Süd-orientiert und würden uns eher nach Tschechien statt zum Bodensee führen, damit fällt die Variante, einem Flussradweg bis zur Quelle zu folgen erst einmal flach. So stückeln wir in den folgenden Reisetagen einzelne Segmente von verschiedenen Radwegen aneinander:

Die erste Etappe gehört dem Leichhardt-Trail, auf dem wir zum Spreeradweg und nach Cottbus kommen wollen.

Dieser Trail führt von Trebatsch nach Cottbus und folgt einer alten Bahntrasse, die schon vor der Blütezeit der Dampflokomotiven angelegt wurde und wo Pferde den Zug bewegen mussten. Gut nachvollziehbar, dass diese Art Zugmaschinen schon nach wenigen Jahren überholt waren und der Bahnbetrieb wieder eingestellt wurde… eine Umrüstung der Bahnlinie auf Dampflokomotiven war wirtschaftlich nicht denkbar.

Aber auch wir kommen bei dieser Bahntrassenbefahrung an unsere Grenzen, weil der Untergrund häufig nur lose befestigt ist und mehrere sandige -für unser Tandem gleichzeitig unfahrbare- Abschnitte bringt. In direkter Tradition zu den Pferdelokomotiven der Leichhardt-Bahn spannen wir Tina Vornesitzer mit dem Zugseil vor das Pino damit wir diese sandigen Steigungen überhaupt überqueren können.

Nicht viel später kapitulieren wir dann ganz, verlassen diesen nur bedingt empfehlenswerten Radweg zugunsten des Spreeradwegs nach Cottbus und weiter zum See an der Talsperre Spremberg.

 

Den Spreeradweg sind wir vor ein paar Jahren schon einmal weiter flussabwärts geradelt, dieser Radweg gehört für uns zu den schönsten in Deutschland weil er auf sehr weite Strecken mitten durch die Natur führt und auch ganz charmante Dörfchen anschneidet.
Auf unserem Weg südwärts unterbricht Cottbus diese Idylle ein wenig und erinnert daran, dass eine Großstadt und Plattenbauten nicht unser Ding sind. Der Übergang ist sehr krass, die Großstadtnähe macht die Begegnungen schlagartig kälter und anonymer. Grüßen wird an solchen Stellen nur ganz selten erwidert, Augenkontakt gemieden. Unangenehm für uns, wir sind wohl doch eher Landkinder, ignorieren die Oberflächlichkeit und grüßen umso freundlicher weiter 🙂

Folgerichtig gibt es in Cottbus nur einen kurzen Einkaufstopp für Getränke und frisches Brot und wir beeilen uns, weiterzukommen: An der Talsperre Spremberg liegt ein Campingplatz direkt am Spreeradweg, der Übernachtungsplatz unserer Wahl. Hier genießen wir den lauen Abend mit genialem Sonnenuntergang, trinken unseren Rotwein, spielen Gitarre und betreiben unsere Holzofen Solo Stove im Lagerfeuermodus. Falls noch welche übrig sind: solche Abende würden wir diesen Spätsommer gerne abbonnieren.

Die Tour Brandenburg, die wir im Uhrzeigersinn vom Spremberger See bis Bad Liebenwerda fahren hat laut Tourismuswerbung eine gesamte Länge von 1111 Kilometern, umrundet dieses neue Bundesland und ist der längste Radfernweg Deutschlands.
Nach Spremberg geht es ein paar Höhenmeter nach oben, dann tauchen wir in einen Bereich mit ganz besonderer Geschichte ein. Dieses Landschaft hat einige hässliche Jahre des Braunkohlebergbaus hinter sich, vor wenigen Jahrzehnten wurde hier ausnahmslos alles von riesigen Baggern gefressen. Seien es Seen, Bäche, Wälder, seien es Landwirtschaften, Dörfer, Kirchen. Heute erinnern nur noch vereinzelte Ortsschilder mit Fotos aus früheren Zeiten daran, dass hier einmal Dörfer waren.

Nach diesen hässlichen Zeiten hat die Landschaft allerdings einen enormen Wandel zum Naturschutzgebiet Lausitzer Seenland erlebt und der Radweg durchquert weite, junge Wälder die manchmal sogar fast unberührt wirken.
Schön auch, dass diese Radwege nicht entlang von Straßen und Verkehr angelegt sind sondern ganz alleine durch den Wald führen. Wenig später kommen wir dann an den Senftenberger Seen vorbei, die miteinander verbunden sind und riesige Naherholungsgebiete geworden sind.
An die frühere Zeit erinnern nur immer wieder Abschnitte, in denen  „Betreten verboten, Industriegelände“ warnt, vermutlich um eine Unfallhaftung der früheren Bergbauer zu vermeiden.

Es wird eine sehr lange Etappe heute, die uns bis zu einem Campingplatz an einem Waldsee, dem Zeischaer-Campingplatz führt.

Erst abends um 8 erreichen wir diesen Platz… und haben noch einen langen Abend vor uns. Udo Hintensitzer hatte die Einkaufsverantwortung für das Abendessen und stolz eine Ration gefrorene Kartoffelpuffer mit Apfelmus geschossen. Glück gehabt, dass das Brennholz für den langen Kochabend reicht, denn in unser Mini-pfännchen passt jeweils nur ein halber Kartoffelpuffer, der dann jeweils 10 Minuten gebraten werden möchte.
Wir verbringen also 20 halbe Kartoffelpuffer mal 10 Minuten = gute 3 Stunden damit, dass Udo Hintensitzer Kartoffelpuffer im Akkord brät, Tina Vornesitzer sie mundgerecht kleinschneidet und abwechselnd -eins für Papa, eins für Mama- verteilt.

Nasenbeinbruch?

Jepp, diesen blöden Unfall können wir uns eigentlich gar nicht so richtig erklären, Lasse will irgendwie auch gar nicht darüber reden. Jedenfalls muss unser erster schwerwiegender Unfall irgendwo zwischen dem Schwielochsee und den Spremberger Seen passiert sein.
Lasse Isbjørn hat schon immer seinen Reiseplatz hinter Tina Vornesitzers Rückenlehne, von wo aus einen prima Blick zur Seite hat. Vermutlich hat er dort bei einer scharfen Bremsung nicht aufgepasst, ist mit der Nase an die Verstrebung geknallt und zack… war die lange freche Trollnase gebrochen.

Lasses malheur

Es scheint ihm nicht allzviel auszumachen, aber wir bestehen darauf, dass er nach unserem Zwischenstopp am Bodensee eine Pause einlegt. Zumal uns das Tourismusbüro in Trondheim versichert hat, dass eines der Geschwisterchen von Lasse gerne an Lasses Stelle mitreisen würde. Ole Isbjørn wird ab dem Bodensee für Lasse mitreisen. Wir stellen ihn bei der Gelegenheit vor.

Am nächsten Morgen nach der Kartoffelpufferaktion leeren wir die Asche aus unserem Holzkocher, packen unsere Sachen und sitzen wieder auf. Als Etappenziel haben wir die Jugendherberge Dahlen ausgemacht, für den Sprung rüber zum Radweg „Weiße Elster“ haben wir keinen Campingplatz gefunden. Es gibt auch keinen überregionalen Radweg in diese Richtung und so versuchen wir kleine Wege nach der ADFC-Fahrradkarte zu fahren.

Unterwegs schneidet der Radweg eine Gedenkstätte in Mühlberg: Hier hatte das Regime im dritten Reich ein Gefangenenlager (STALAG IVB) für bis zu 300.000 Kriegsgefangene aus über 40 Nationen (die sowjetischen Gefangenen wurden besonders schlecht behandelt), nach dem zweiten Weltkrieg wurde das Lager (Speziallager 1) nahtlos von der Sowjetunion übernommen um Systemgegner und vermeintliche Kollaborateure festzuhalten. Mehr als 6400 Menschen sind unter den Haftbedingungen hier gestorben, heute erinnern einige persönliche Grabkreuze und ein Denkmal an diese bitteren Zeiten. Das Gedenken an die Opfer ist den Angehörigen allerdings erst seit der Zeit nach dem Mauerfall möglich da in DDR-Zeiten das Lager totgeschwiegen wurde.

Wir sind alleine an dieser Gedenkstätte, schauen uns die persönlichen Nachrichten einiger Hinterbliebener mit dickem Klos im Hals an bleiben einen Moment vor dem großen Denkmal stehen und reden noch lange über diese Gedanken.
Wir sind uns einig, dass wir in einer extrem glücklichen Zeit leben und uns auch das -gerade in einer Zeit, in der Populisten die Welt wieder mit furchtbar einfachen Weltbildern erklären wollen- eine Verantwortung gibt, diese glückliche Zeit für unsere Kinder und Enkel aktiv zu bewahren. Arbeiten wir daran!

Weiter mit „Jugendherberge Dahlen – Weiße Elster – Hof“

Die Bildergalerie des Tages:

 

Unsere Etappen in der Übersicht

Die Hinreise zum Nordkapp

Vom Nordkapp nach Tromsø

Troms - Vesteralen - Lofoten

Bodø - Trondheim

Trondheim - Südnorwegen / Halden

Schwedische Westküste

Deutschland Nordost-Südwest: Usedom bis Bodensee

Frankreich Ost-West: Mulhouse - Nantes - Eurovelo 6

Frankreich Atlantikküste: St. Nazaire - Biarritz - Eurovelo 1

Spanien: Atlantik und Jakobsweg

 

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